Kundenorientierung in der Assekuranz - aktuelle Entwicklungen und Trends

Interview mit Michael Kullmann, Managing Partner bei der MSR Consulting Group zu aktuellen Entwicklungen und Erkenntnissen aus der Marktstudie KUBUS Privatkunden 2022.

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Wie oft erscheint die Studie und worauf liegt der Fokus?

Wir vermessen jährlich die Kundenzufriedenheit bzw. den Puls des Kunden für die deutsche Assekuranz. Im Schwerpunkt sprechen wir heute über die Privatkunden. Wir tun das seit über 20 Jahren, von daher liegen lange Zeitreihen vor. Das wird gleich auch im Interview noch mal interessant werden, darauf einzugehen. Es geht uns vor allem darum, nicht nur einen Indikator zu messen, wie man das vielleicht von anderen Studien kennt, sondern wir wollen die tieferen Hintergründe verstehen. Also was sind die Bedürfnisse der Kunden? Wie verändern sich diese über die Zeit und wie schneiden die Versicherer auch in wichtigen Unterkategorien ab, z.B. im Vertrieb oder Innendienst. Das sind die großen Linien, die wir uns anschauen.

Wir leben gerade in einer sehr spannenden Zeit, was das angeht. Ich spreche dabei insbesondere die Führungskräfte in den großen Versicherungshäusern an. In der Kundenzufriedenheit haben wir derzeit einen historischen Höchststand in puncto NPS.

Welche langfristigen Trends in Bezug auf die Kundenzufriedenheit in der deutschen Assekuranz zeichnen sich über die letzten 5 Jahre ab?

Das ist spannend, wenn man das von einem Jahr auf das andere betrachtet. Aber für uns sind natürlich die langen Linien besonders interessant. Das heißt, wie verändert sich eine Kundenzufriedenheit nicht von einem Jahr auf das nächste, sondern in einer Linie von fünf Jahren. Und der Trend ist ungebrochen, den wir sehen. Wir haben keinen Einmal-Effekt und auch keinen Corona-Effekt, wie vielleicht viele vermuten. Nein, wir sehen diesen Trend seit fünf Jahren und der kulminiert gerade in diesem Jahr in diesem Spitzenwert.

Welche Dynamik beobachten Sie in der Branche in Bezug auf die Kundenzufriedenheit?

Ich greife vielleicht gerade mal den Net Promotor Score heraus, der ja die prominenteste Steuerungsgröße ist, branchenweit gesehen. Während wir 2018 noch ein Branchen Niveau hatten von +7, also immerhin schon positiv, haben wir heute einen Wert von +22. Viel entscheidender ist, wenn wir noch mal auf die größten Versicherungsgesellschaften schauen, dass in unserer Kubus Studie 2018 noch acht Gesellschaften einen negativen NPS aufwiesen. Heute ist der NPS bei allen Gesellschaften positiv. Das ist die Dynamik, die in den letzten Jahren zu beobachten ist – und das ist faszinierend, wie wir finden. Also die Branche ist hier auf einem guten Weg, um die Welt für den Kunden besser zu machen.

Was fällt in puncto Kundenzufriedenheit besonders auf?

Wenn wir noch mal auf die letzten fünf Jahre schauen, dann fällt ein Thema besonders auf. Während in der Vergangenheit es insbesondere die eher schwachen Gesellschaften geschafft haben, die Kundenzufriedenheit durch den Abbau von Defiziten zu steigern, fällt jetzt gerade auf, dass wir auch neue Best-in-Class Werte in der Branche sehen. Das heißt also, die Kundenversteher, die auch historisch in der Kundenzufriedenheit immer schon sehr stark waren, setzen neue Bestmarken. Wir finden, das ist eine faszinierende Geschichte, weil es auch eine Perspektive für die Branche gibt, dass hier noch kein Limit erreicht ist, sondern dass diese Zufriedenheit weiter gesteigert werden kann.

Kann man das noch konkreter fassen? Wie äußert sich die zunehmende Kundenorientierung im täglichen Geschäft?

Machen wir es mal konkret: Was bedeutet das, sich in der Kundenzufriedenheit zu verbessern? Digitalisierung ist in aller Munde. Versicherer beschäftigen sich in großen Programmen mit zunehmender Digitalisierung, natürlich auch Richtung Kunde. Wir stellen dies ebenfalls fest. Der Bedarf der Kunden auf mehreren Kanälen mit den Versicherern kommunizieren zu können steigt. Die Versicherer, die dabei schon die ersten Schritte gegangen sind, sind diejenigen, die sich besonders stark steigern. Stichwort „Kundenportal“: Ich glaube, alle versuchen gerade dort für den Kunden eine neue Schnittstelle aufzubauen. Einige sind schon weiter, einige stecken noch in den Kinderschuhen. Also da ist auch noch eine Menge Luft nach oben.

Gibt es noch weitere Aspekte?

Wir entdecken insbesondere, dass gerade in den Leistungsfall-Bearbeitungen, spartenübergreifend von der Krankenversicherung bis hin zur KFZ-Versicherung, das Thema Tracking eine besondere Relevanz erfährt. Also was wir alle als Verbraucher kennen. Wenn ich ein Paket irgendwo bestelle, kann ich über Track & Trace verfolgen, wo sich mein Paket gerade befindet. Das wird auch die Zukunft sein für die Endkunden-Kommunikation, die gerade einen Schadenfall bei einem Versicherer haben. Der Schaden wird gemeldet und danach kann ich genau sehen, wo sich die Bearbeitung meines Schadens gerade befindet. Also ein anderer Weg der Digitalisierung jenseits des Kundenportals. Das sind für uns gerade zwei ganz heiße Themen, die wir beobachten in der Branche.

Es gibt also noch Luft nach oben. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um die kundenzentrierte Arbeit noch tiefer im Alltag der Versicherer zu verankern?

Ich habe jetzt gerade zwei technologische Aspekte sehr stark in den Vordergrund gerückt. Aber jenseits der Technologie kommt es natürlich darauf an, wie kommunizieren Menschen miteinander, also ihre Kunden mit ihren Mitarbeitern in den entsprechenden Einheiten, mit ihren Außendienststellen im Vertrieb. Was wir dort feststellen ist, dass es einigen Gesellschaften sehr gut gelingt, das Thema Kundenorientierung wirklich zu verankern. Was bedeutet es, sich in jeder Situation die Frage zu stellen „wie würde der Kunde das eigentlich betrachten, was wir hier tun?“, „Ist das für ihn ein guter Prozess?“, „ist das eine gute Experience, die der Kunde gerade bekommt?“ Da sehen wir einige Gesellschaften weit vorne, die es offensichtlich geschafft haben, das Thema Kundenorientierung als ein kulturveränderndes Thema in ihrer Organisation zu verankern. Das hat nichts mit Technologie zu tun, sondern das hat mit den Köpfen zu tun, die sie in ihrer Organisation haben. Und da gibt es noch viel zu tun für die gesamte Branche. Aber es gibt auch schon ein paar echte Leuchttürme, die das gut vorangebracht haben.

Muss sich der Endkunde auch anpassen oder seine Gewohnheiten verändern? Oder liegt der Ball zunächst alleine im Feld der Versicherer?

Also das ist eine hochgradig interessante Frage und sie zeigt uns natürlich auch, wenn wir in andere Branchen schauen, wie das dort von statten gegangen ist. Also nehmen wir mal die Bankenbranche. Dort ist es ja mittlerweile normal, wer die technisierten Wege oder die digitalen Wege nicht geht, wird mit einem Malus belegt. Das heißt also Überweisungen auf Papierformularen kosten extra. Das traut sich die Assekuranz bisher nicht. Aber ich bin davon überzeugt, so wie in zunehmendem Maße digitale Angebote auch gewollt sind von der breiten Kundschaft, wird man irgendwann dazu kommen und sagen, „das ist der Standard“. Und wer den traditionellen, an Papier gebundenen Weg gehen möchte in einer Kundenreise, in einem Prozess, der wird vielleicht dafür extra zahlen müssen. Da ist die Branche noch nicht. Aber es kann durchaus sein, dass es sich dahin entwickelt.

Können Sie weitere Entwicklungen für die Zukunft erkennen? Wo steuert die deutsche Assekuranz hin?

Als wir vor vielen Jahren damit begonnen haben, Versicherungsunternehmen darin zu unterstützen, kundenorientierter zu werden, haben wir zu Beginn vor allen Dingen festgestellt, dass es darum ging, echte Defizite abzubauen. Also wir haben uns um Beschwerde-Prozesse gekümmert. Wie kann man Langläufer reduzieren, also die Bearbeitungsdauer? Also eher Problemfälle aus Kundensicht, wo ein echtes Ärgernis vorlag. Dann wechselte es zu einer Phase, in der es darum ging, wie Prozesse kundenorientierter gestalten werden können, bis hin zu heute? Denn dieser Punkt ist nach wie vor unumstößlich. Nur der begeisterte Kunde schafft in ein echtes Prämienwachstum – nicht der zufrieden gestellte Kunde. Und der enttäuschte Kunde natürlich schon gar nicht. Was kommt als nächstes? Die Fragen bekommen wir häufig gestellt. Was kommt eigentlich nach der Kundenbegeisterung? Wir sind zutiefst davon überzeugt, zukünftig werden die Gesellschaften nach wie vor in der Kundenbegeisterung stark sein, die die Daten ihrer Kunden haben. Dieses Thema ist immer noch eine große Baustelle der Branche. Das Thema getrennte Datenhaltung in den Außendienst-Organisation und im Innendienst, das versteht kein Verbraucher, das versteht kein Kunde. Wem es gelingt, das komplette Datenpaket eines Kunden an allen entsprechenden Kanälen griffbereit zu haben und damit gut in der Kommunikation reagieren kann, das werden die Gewinner der Zukunft sein.

Ersetzt der digitale Weg denn nun die persönliche Betreuung?

Viele im Management vermuten, so wie die digitalen Kontakt Kanäle zunehmen, bauen sich die Face-to-Face-Kanäle oder auch die analogen Kanäle ab. Das können wir überhaupt nicht beobachten. Im Gegenteil, wir stellen fest, dass die traditionellen Kanäle in der Präferenz der Verbraucher auf dem Niveau bleiben, wo sie aktuell sind, und die digitalen kommen hinzu. Das ist eine große Herausforderung für die Gesellschaften, aber es zeigt auch den Weg auf: das Digitale ersetzt nichts Altes, sondern es kommt hinzu. Und so muss auch digitale Kontaktfähigkeit verstanden werden: als Ergänzung neben den traditionellen Kanälen und nicht als Ablöse davon.

Vielen Dank für das freundliche und spannende Interview.

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