Candidate Journey:
Interview mit Dr. Judith Glüsenkamp und Franziska Weber
Das „Perfect Match“ zu finden ist gar nicht so einfach – das gilt nicht nur für die Partnersuche, sondern auch für die Suche nach dem richtigen Job beziehungsweise nach den passenden Bewerbern. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel lohnt sich für Unternehmen hierbei ein Blick auf die Candidate Journey, um herauszufinden, wie die Reise der Kandidat*innen aktuell aussieht und wie sie optimal verlaufen kann.
Dr. Judith Glüsenkamp, Partnerin bei MSR Consulting und Expertin für systematisches Experience Management sowie Franziska Weber, Project Manager bei der MSR Consulting Group und Expertin für Experience Management & Change Management berichten im Interview, an welchen Stellschrauben hier gedreht werden und welche Methode dabei hilfreich sein kann.
Die Candidate Journey beschreibt den Weg, den Kandidat:innen vom ersten Kontaktpunkt mit einem Unternehmen bis hin zum Abschluss des Bewerbungsverfahrens, zurücklegen. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel hat sie einen extrem bedeutsamen Einfluss auf das Gewinnen von neuen Mitarbeiter:innen und ebenso auf das Employer Branding von Unternehmen. Wie ist in dem Zusammenhang aus eurer Sicht der Status quo in Bezug auf die Erfahrungen, die Bewerber:innen heutzutage machen?
Judith: Überall ist ja im Moment die Rede vom neuen Fachkräftemangel und man sollte meinen, dass die Candidate Journeys der Unternehmen tiptop und picobello laufen, um ja keine Bewerber zu vergraulen. Das ist jedoch definitiv nicht der Fall. Bewerber:innen machen sehr unterschiedliche Erfahrungen, was den Professionalitätsgrad und das Feeling, die Ausgestaltung der Candidate Experience angeht. Teilweise gibt es nur ein kurzes Gespräch und dann wird nach Bauchgefühl entschieden. Woanders ist der Prozess kleinteilig und möglichst objektiv an Kompetenzen und Anforderungen orientiert, aber sehr langwierig und zäh. Alles in allem gibt es noch viel Luft nach oben, die Candidate Journey zu verbessern, und das kann den Bewerber:innen wie auch den Unternehmen helfen, den richtigen Match zu finden.
Franziska: Judiths Aussage “Viel Luft nach oben” wird auch dadurch bekräftigt, dass Bewerber*innen bei Kununu den Bewerbungsprozess im Durchschnitt mit 3,26 (1=sehr schlecht; 5=sehr gut) sehr mittelmäßig bewerten. Auch in einer StepStone-Studie bewerten nur fünf von 100 den Prozess als „sehr gut“. Und nicht nur der Bewerbungsprozess bis zur Einstellung an sich bildet die Erfahrungen der Bewerber*innen, denn zu guter Letzt ist ebenfalls der Onboarding-Prozess wichtig. Denn was bringt es, wenn zwar das Recruiting an erster Stelle erfolgreich war, dann aber viel Zeit und damit Geld in die Einarbeitung fließt und sich Kandidat*innen innerhalb dieser Phase umentscheiden? 47 Prozent der Bewerber*innen sind der Meinung, dass Job-Beschreibung und Job-Realität nicht übereinstimmen (Umfrage softgarden) – Durch Plattformen wie Kununu gibt es mehr Transparenz, aber nichtsdestotrotz entscheiden sich Bewerber*innen oft für die ‘Katze im Sack’, da sie wenig Einsicht in den Arbeitsalltag erhalten.
Welche Anforderungen ergeben sich für die Unternehmen daraus und welche Phasen der Candidate Journey gilt es darauf basierend zu aktualisieren, um damit den Recruiting-Prozess zu optimieren?
Judith: Wichtig ist als allererstes, eine wertschätzende Haltung auf Augenhöhe einzunehmen. Bewerbende sind nicht mehr Bittsteller, die gesamthaft durchleuchtet und mit “Daumen hoch oder runter” bewertet werden. Vielmehr sollte sich auch das Unternehmen beim Kandidaten “bewerben” und zeigen, was den Kandidaten erwartet. Nur so können beide Seiten herausfinden, ob sie wirklich zueinander passen. Aus dieser Haltung der “wertschätzenden Augenhöhe” heraus sollte dann auch die Candidate Journey gestaltet sein. Dazu gehören Dinge wie kurze Antwortzeiten, wertschätzender Umgang, persönliches Kennenlernen vor Ort, ehrliches Feedback statt anonymer Zu-/Absage. All das zahlt sich aus – mindestens in der digitalen Reputation auf kununu & Co.
Franziska: Bei der Candidate Journey gibt es mehrere Phasen, bei denen je nach Unternehmen an vielen Stellen Optimierungspotenziale bestehen. Nehmen wir zum Beispiel die erste Phase, typischerweise ‘Aufmerksamkeit/Sichtbarkeit’. Bereits in der ersten Phase gibt es unterschiedliche Problem- oder Fragestellungen, die je nach Unternehmen analysiert werden müssen: z. B. Wie schaffe ich für mein Unternehmen Sichtbarkeit?; Wie und wo finde ich passende Kandidat*innen; Wie werde ich als Bewerber*in auf eine passende Stelle in diesem Unternehmen aufmerksam? – Dazu ist es notwendig sich als Unternehmen zu überlegen, was die eigene Zielgruppe ist und dafür gegebenenfalls auch bisher gelerntes über den Haufen zu werfen. Wichtig ist, dass man als Unternehmen als passender Arbeitgeber überhaupt erstmal wahrgenommen wird. Es kann sinnvoll sein nur in Richtung digitale Sichtbarkeit zu gehen, weil da die passenden Kandidat*innen gefunden werden, für andere Unternehmen wäre das sicherlich keine gute Optimierung.
Das Candidate Journey Mapping ist eine Methode, um zu einer erhöhten Transparenz und damit zu einem vertieften Verständnis der Journey der Kandidat:innen zu gelangen. Wie genau kann sie von Unternehmen angewandt und welche Entscheidungen können im Ergebnis dessen abgeleitet werden?
Franziska: Durch die konsequente Betrachtung der Erlebnisse aus Sicht der Kandidaten und Kandidatinnen, werden Schwachstellen entlang der Journey aufgedeckt und Optimierungspotenziale entwickelt. Dafür kann die Methode von Unternehmen bzw. Recruiter*innen sehr vielfältig und in unterschiedlichem Umfang angewendet werden: Ein erster Schritt wären qualitative Interviews von Kandidat*innen, die detaillierte Erkenntnisse über den genauen Ablauf der Journey und das Erleben an den einzelnen Kontaktpunkten geben. Je nach Unternehmensgröße kann man darauf aufbauen auch quantitative Befragungen durchführen, um bestimmte Mengengerüste zu bestimmen und die qualitativen Erkenntnisse zu verifizieren. Aber auch ohne Befragung, wenden Recruiter*innen die Methode häufig an, um aus der internen Perspektive herauszutreten und sich zu visualisieren wie die Reise der Kandidat*innen aus deren Perspektive abläuft. Durch den Einsatz dieser Methode können dann, wie bereits erwähnt, Schwachstellen oder unnötige Schleifen etc. aufgedeckt und eliminiert werden. Gegebenenfalls ist es zusätzlich sinnvoll, die Candidate Journey im Wettbewerbsvergleich zu betrachten, um Abweichungen sichtbar zu machen. In dieser Werkstatt werden wir darüber hinaus auch auf die ideale Candidate Journey als Methode eingehen.
Judith: Egal wie man im Detail vorgeht: Wichtig ist, sich ernsthaft mit der Sicht der Kandidat:innen zu befassen und nicht bei den eigenen Erfahrungen und Meinungen stehen zu bleiben. Dazu ist das Feedback von Personen außerhalb des eigenen HR-Dunstkreises sehr wichtig. Auch wenn man nur wenige einzelne Interviews führen kann, so ist das besser als gar kein externer Input. Dabei gibt es meist viele Überraschungen, wenn Recruiter und Personaler zum Beispiel neue Kolleg:innen fragen, wie sie ihre Anzeige, das erste Gespräch, den Bewerbertag vor Ort erlebt haben. Und genau das ist eben unser Ansatz im Experience Management: Die Perspektive des anderen erlebbar machen, um darauf aufbauend die Erkenntnisse im Mapping zu sammeln und in Veränderungen umzusetzen.
Das Interview ist veröffentlicht auf der Seite der digitalimpactlabs